Page 5 - Lütjenburg und die Region erLeben Ausgabe Sommer 2020
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Als der Korporal am Abend vor dem festgelegten Hochzeitstage
aus der Waldmühle ins Lager zurückkehrte, übergab ihm einer sei-
ner Kameraden einen Befehl zum sofortigen Aufbruch nach einem
entfernten Orte, von wo aus er erst in acht Tagen wieder zurück
sein konnte. Als gehorsamer Soldat machte er sich sofort an die
Ausführung des Befehls, gab jedoch einem seiner Kameraden den
Auftrag, seiner Braut und deren Eltern von dem plötzlich einge-
tretenen Hindernis Kenntnis zu geben. Getreulich gingen anderen
Tages seine Kameraden hinüber zur Waldmühle, jedoch nicht um
ihren Auftrag auszurichten, sondern sich an der Verlegenheit der
Müllersfamilie zu weiden.
Als nach langem, geduldigem Warten der Bräutigam immer noch
nicht erschien, bemächtigte sich der Braut eine geheime Angst.
Am liebsten wäre sie hinaus geeilt, dem Liebsten entgegen, aber
in ihrem Hochzeitsschmuck mußte sie bei den Gästen ausharren.
Als die Soldaten die Unruhe des Mädchens bemerkten, ergingen
sie sich in Sticheleien über die Untreue ihres Kameraden, der aus-
gerückt sei und sicher nicht wiederkommen werde. Als die Braut
dies vernahm, bemächtigte sich ihrer eine große Aufregung. Ihr
wurden die Wände des Zimmers zu eng. Sie hätte aufschreien mö-
gen vor Schmerz und Verzweiflung. Sie floh hinaus aus dem Hause,
hinaus in den dämmernden Wald zu ihrer geliebten Buche, wo sie
oft Trost und Frieden gefunden hatte.
So saß sie lange da, das glühende Gesicht in ihren Händen. Aus ih-
ren Augen quollen Tränen und benetzten ihren Schleier. Aus dem
See stiegen weiße Nebel auf, welche sich auf- und abbewegend auf
der glatten Wasseroberfläche lagerten. Der Müllerstochter kam es GUT ESSEN · FESTE
so vor, als wenn diese Nebelbank lebendig würde, als weiße Nixen
auf dem Wasser tanzten und ihr zuriefen und winkten „komm zu FEIERN · GENIESSEN
uns, hier findest Du Frieden.“ Plötzlich war es ihr, als ob sich der
See öffnete, von weißen Nixen getragen glitt sie langsam hinunter WOHLFÜHLEN · KULTUR
in das Reich der Wassergeister, wo sie Ruhe und Frieden finden
sollte. ERLEBEN
Nachdem sich die Hochzeitsgäste entfernt hatten, suchte man
das Mädchen, fand es aber nirgendwo. Sie war spurlos verschwun-
den, nur an einem Zweige der Buche fand man ein Stückchen ihres
Schleiers. Man fischte den See ab, aber das Mädchen wurde nicht
gefunden. Als der Korporal von seiner Reise zurückkehrte, fand er
die Eltern in tiefer Trauer. Traurig schlich er sich zu der Buche am
See. Hier setzte er sich, in tiefes Sinnen versunken, in die Gezwei-
ge nieder. Über ihm glühte das Abendrot am Himmel und unter
ihm spiegelten sich in dem stillen See die langsam dahin ziehenden
lichten, rosigen Wolken so klar und durchsichtig, wie der Schleier
einer Braut. Plötzlich glaubte er hinter einer dieser leichten Wölk-
chen das Antlitz seiner Braut zu erkennen. Einen Kranz von See-
rosen im Haar, schien sie ihm zu winken. Er rief: „Oh Anna, warum
hast Du mir das angetan, grundlos waren Deine Zweifel an meiner
Treue, grundlos war Deine Tat. Oh decke auch mich dieser See zu,
wie Dich.“ Ein lautes Schluchzen des Wassers ertönte, dann war
alles still. Der Korporal war in der Tiefe verschwunden.
Als seine Kameraden anderen Tages nach im suchten, fanden sie
nur seinen Helm im Gezweige der Buche. Er selbst aber war ver-
schwunden. Man grub einen tiefen Graben, um den See ablaufen
zu lassen, aber die Arbeit war vergebens. Der See erwies sich als
grundlos.
Die Mühle ist im Laufe der Zeit verschwunden, der Graben aber,
welchen die Soldaten damals ausgehoben haben, ist noch vorhan-
den, der sogenannte Russengraben. Ein herrlicher Buchenwald be-
deckt die Stätte der einstigen Mühle.
Wer aber am Morgen des ersten Pfingsttages diesen See aufsucht,
glaubt oftmals aus der Tiefe desselben, das Läuten der Hochzeits-
glocken zu vernehmen.
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„Text aus dem „Lütjenburger Sagenkranz“, einer alten privaten www.hotelschoenberg.de
handschriftlichen Sammlung, die Helmut Schulz (ehemaliger Besit-
zer des Kaisersaals) hütete”, erzählte uns Dieter Frank.
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