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Mai 2022





                                  GEMEINDEBRIEF


                                  der ev. luth. Kirchengemeinde

                                        LÜTJENBURG



        „Bitte kein Photo“                  Marita hat Krieg erlebt! Unvorstellbar  Wirtschaft und ist entsetzlich. Welchen
                                            für die meisten von uns!            Trost haben  wir denn, der uns hoffen
                                            Ich brauche nicht  viel  Einfühlungs-  lässt wider die Gewalt. Und wie die ei-
                                            vermögen,  um zu verstehen,  was die-  gene Ohnmacht aushalten?

                                            ses  kleine  Mädchen  empfinden  muss.   Für mich war in diesem Jahr der Kar-
                                            Nichts an ihrem Verhalten ist gespielt,   freitag  noch  bedeutsamer  als sonst:
                                            nichts gekünstelt!                  Der Tag, an dem Christus in all seiner
                                            Tröstende Worte fallen mir schwer und   Ohnmacht zu Gott betet, sich an unse-
                                            ich merke, sie braucht mehr! Da müs-  re Seite stellt, unsere Verletzungen und

                                            sen Profis ran. Menschen, die ins Innere
        Marita, 15 Jahre alt, sitzt auf einem  der Seele schauen können, um sie heil   Wunden erträ gt und unseren Tod stirbt.
                                                                                Das Leiden und Aushalten, Nicht-Weg-
        provisorischen Klappbett  in der Turn-  zu machen.                      schauen und trotzdem keine Lösung zu
        halle von Zduny (Polen) starrt auf ihr  Achselzucken  als ich  sie nach  ihrem   wissen und Jesu Gebet  - das ist alles
        Handy. Alle Versuche, Kontakt mit ih-  Vater frage. „Charkiw“, antwortet sie.  andere  als passiv. Dies Bild  gibt  mir
        ren Freunden in Charkiw aufzunehmen  Weitere Fragen sind unnötig. Alle Män-  Kraft, in schweren Situationen zu be-
        sind gescheitert.                   ner  von 18 bis 60 Jahren  müssen ihr   stehen, nicht einfach auf Rache oder
        Ihre Augen, ihre ganze Körperhaltung,  Land verteidigen.                Gegenzerstörung zu bauen, auch die
        vor allem ihre Mimik sind von unglaub-  Wieder starrt sie auf ihr Handy, als wir   eigene Ohnmacht aushalten zu können.

        licher Traurigkeit und Verzweiflung ge-  uns verabschieden. Und sie wiederholt   Nach Karfreitag steht das Osterfest be-
        prägt!                              ihre Bitte: „Kein Photo“!           vor, es erzählt, wie kein anderes kirch-
        Seit drei Tagen sind sie nun in Polen,  Ja, sie hat recht! Ein Gesicht, stellver-  liches Fest von der Hoffnung, dass das
        nach fünf Fluchttagen in der Ukraine.  tretend für Hunderttausende?     Leben stärker ist als die Mächte, die es
        Sie, ihr körperbehinderter  10jähriger  Wir müssen genauer hinschauen, um zu   bedrohen.  Gott erdachte  sich Zukunft
        Bruder und ihre Mutter haben Zuflucht  verstehen, was diese Menschen erleben   für uns, als er Jesus von den Toten auf-

        in  dem  kleinen  Grenzort  erhalten,  der  mussten. Erfühlen, was für Verzweif-  erweckte. Dass sie uns erfüllt mit Wi-
        überfüllt  von Flüchtlingen  aus den  lungen sie empfi nden, Hoffnungslosig-  derständigkeit und Lebensmut, selbst in
        Kriegsgebieten der Ukraine ist.     keit sie begleitet.                 aufgewühlten Zeiten.
        Über 6000 Menschen sind im  Kreis  Was können Kinder ertragen, ohne tiefe   Und ich glaube, in diesem Sinne ist es
        Krotoszyn, hauptsächlich  in privaten  Spuren in ihrer Seele zu hinterlassen?  uns als österlichen Menschen aufgetra-
        Unterkünften,  aufgenommen  worden.  Es liegen viele Aufgaben vor uns, wenn   gen, nicht müde zu werden, den Mäch-
        Was für eine Leistung!              wir Menschen wie Marita  unter uns   ten des Todes und der Gewalt zu trotzen
        Marita nicht!                       willkommen heißen!                  und für den Dialog und Frieden einzu-
        Sie möchte  eigentlich  nicht mit mir  Wohl mehr, als wir erwarten!     stehen. So dichtete einst Martin Luther
        sprechen, schon gar nicht über die ver-  Howard Bleck, Diakon der       auf die Melodie eines Friedenslieds:
        gangenen Wochen.                    Ev. Kirchengemeinde Lütjenburg      „Verleih uns Frieden, gnädiglich, Herr
        K  rieg  in Charkiw, einer  zerbombten  beim Hilfstransport nach Polen  Gott, zu unsern Zeiten. Es ist ja doch
        Stadt im Nordosten der Ukraine.                                         kein andrer nicht,  der für uns könnte
        Fliegeralarm  jede Nacht, jeden Tag   Liebe Leserin und lieber Leser,   streiten. Denn du, unser Gott, alleine.“
        Einschläge  von Bomben und Schüsse                                      (Evangelisches Gesangbuch Nr. 421)
        in unmittelbarer Nähe! Der Großteil der   für einen kurzen Moment hatte  ich
        Stadt  wird bereits  von der russischen   Hoffnung geschöpft, dass der Frühling   Ihre Pastorin Kathrin Schleupner
        Armee kontrolliert. Flucht aus der Stadt   uns eine Zeit gewährt, endlich wieder
        ist fast unmöglich!                 etwas aufatmen zu können. Dann kam   Einladung zur wöchentlichen
                                            der Krieg in der Ukraine, dessen Ver-
          Ich wünsche dir in jeder Hinsicht   lauf und Dauer zu dem Zeitpunkt,  an   Friedensandacht
          Wohlergehen und Gesundheit,       dem ich diese Worte schreibe, ja noch  Seit Ausbruch des sinnlosen Angriffs-
          so wie es deiner Seele wohlergeht  gar nicht abzusehen sind.          krieges in der Ukraine treffen wir uns
          (3. Johannes 2).                  Der Krieg bringt Tote  und Verletzte,  jeden Mittwoch um 12 Uhr zum ge-
                                            Zerstörung von Vertrauen, Kultur und  meinsamen  Gebet.  Wir  stellen unsere




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